Interview: Darum bin ich dabei. Bildungsarbeit in ver.di

Wie viele von euch wissen, gebe ich regelmäßig Seminare im ver.di-Bildungszentrum Haus Brannenburg. Für den regelmäßig erscheinenden „Use-Letter“ des Bildungszentrums interviewte mich kürzlich Marko Junghänel. Er wollte wissen, warum ich mich in der Bildungsarbeit der Gewerkschaft engagiere.

Marko: Was machst du hauptberuflich und hat das schon etwas mit Bildung zu tun?

Timm: Ursprünglich habe ich mal Journalist gelernt. Dann studiert: Germanistik, Psychologie und Philosophie. Später habe ich viele Jahre im Bereich Werbung gearbeitet, zuletzt zehn Jahre lang als Marketingchef des Buchversenders Jokers. Jetzt bin ich seit einigen Jahren freigestellter Betriebsrat bei WELTBILD.

Wie bist du schließlich zum Teamen gekommen – speziell zu deinen Themen, die du dabei vertrittst?

Ich bin seit 30 Jahren in der Gewerkschaft, war aber lange nicht sehr aktiv. Als Führungskraft hatte ich auch kaum Berührungspunkte mit dem Betriebsrat. Das änderte sich 2009, als erstmals umfassende Restrukturierungsmaßnahmen – und damit verbunden Massenentlassungen – bei WELTBILD Thema wurden. Damals haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in meiner Abteilung das Gespräch mit dem Betriebsrat (BR) gesucht. Es wurde schnell klar, dass der BR nur wenige betriebspolitische Handlungsoptionen hatte, einfach weil er im betroffenen Teil der Belegschaft nur sehr schlecht vernetzt war. Man könnte auch sagen: Es gab ein Kommunikationsproblem. Da habe ich als Spezialist meine Hilfe angeboten.

Das Ergebnis war das Weltbild-ver.di-Blog im Internet, das sich als mächtiges betriebspolitisches Schwert erwiesen hat. Das hat sich in Gewerkschaftskreisen schnell herumgesprochen, und ich wurde immer öfter gefragt, zu dem Thema Vorträge zu halten oder auch gewerkschaftlich Aktive in einem Betrieb konkret auszubilden. So bin ich nach und nach in die Teamenden-Tätigkeit hineingewachsen und habe mein Spektrum auf alle Bereiche der Öffentlichkeitsarbeit erweitert: von der Gestaltung einer Betriebsversammlung über das Zeitungsmachen bis hin zur Arbeit mit den Sozialen Medien im Internet. Das alles können Kolleginnen und Kollegen mit mir zusammen lernen.

Theorie und Praxis gehören für mich untrennbar zusammen. Davon profitieren die TeilnehmerInnen in meinen Seminaren.

In welchem (Spannungs-)Verhältnis stehen gewerkschaftliches Engagement und Öffentlichkeitsarbeit, will heißen: Was erwartet die Teilnehmenden in deinen Seminaren?

Die Arbeit im Betriebs- oder Personalrat ist für mich untrennbar mit dem gewerkschaftlichen Engagement verbunden. Wir müssen raus aus der Position eines innerbetrieblichen Organs, das oft genug nur aufklaubt und kittet, was das Management an Porzellan zerschlagen hat. Wer wirklich die Interessen der Beschäftigten vertreten will, braucht ein klares politisches Koordinatensystem und einen mächtigen Apparat außerhalb des Betriebs. Das ist die Gewerkschaft, das kann nur die Gewerkschaft. Wir, die Beschäftigten, haben die Macht im Betrieb – ohne uns kann das Kapital kein Geld verdienen. Das versuche ich, den Teilnehmenden zu vermitteln: den Anspruch, ein Stück vom Kuchen abhaben zu wollen, und das Selbstbewusstsein, das unüberhörbar und erfolgreich einzufordern. Der Rest sind Werkzeuge, die gibt es quasi nebenbei.

Was motiviert dich zu dieser Teamer-Tätigkeit?

Ich habe immer wieder gesehen, wie wenig Anerkennung Betriebsräte bekommen, obwohl sie einen tollen Job machen. Einfach, weil sie ihre erfolgreiche Arbeit viel zu wenig präsentieren. Dabei möchte ich helfen. Das ist die eine Seite. Die andere ist: Ein gut ausgebildeter Betriebsrat kann mit dem BetrVG und anderen Gesetzen viel erreichen. Das hat aber seine Grenzen. Wer im Betrieb wirklich Arbeitnehmerinteressen durchsetzen will, muss betriebspolitisch das Heft in die Hand bekommen. Dabei ist Öffentlichkeitsarbeit das wichtigste Werkzeug. Als Teamer leiste ich im besten Falle einen politischen Beitrag und helfe, konkret etwas im Sinne der Beschäftigten zu verändern. Außerdem macht es einfach Spaß, mit engagierten und mutigen Menschen – wie es die Interessenvertreterinnen und -vertreter in aller Regel sind – zusammenzuarbeiten.

Welche Wirkungen von Bildung erlebst du bei dir selbst – vor allem aber bei deinen Teilnehmenden?

Nach einem Seminar haben alle – auch ich selbst – viel gelernt. Wir haben gemeinsam Ideen entwickelt und ausgearbeitet. Die meisten gehen mit sehr konkreten Vorstellungen zurück in ihre Betriebe und mischen die Karten neu. Ich fühle am Ende der Seminare oft eine regelrechte Aufbruchsstimmung.

Wer selbst in die Bildungsarbeit als Teamender einsteigen will; was muss er oder sie mitbringen?

Zunächst natürlich absolut sattelfestes Wissen im eigenen Themenbereich. Aber auch: eigene betriebliche Erfahrung und ein Gespür für die Teilnehmenden. Die haben zwar oft sehr ähnliche Probleme in ihren Betrieben, aber sie gehen völlig unterschiedlich damit um. Im Seminar findet vor allem ein Austausch statt, zwischen Teamer und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern genauso wie untereinander. Wenn es gut läuft, gehen am Ende alle schlauer heraus, als sie hineingegangen sind. Diesen Prozess feinfühlig steuern zu können, das macht einen guten Teamer, eine gute Teamerin aus.

Interview: Marko Junghänel

Das ver.di-Bildungszentrum Haus Brannenburg informiert regelmäßig über neue Angebote für Betriebs- und Personalrätemit einem Newsletter. Jeden Monat gibt es ein Themen-Spezial mit interessanten Neuigkeiten für Interessenvertretungen. Ihr könnt den Newsletter hier kostenlos abonnieren. (Das Newsletter-Angebot findet ihr rechts auf der Homepage: gelber Button mit der Aufschrift „Aktueller Newsletter“.)

Wie man als Betriebsrat in wirren Zeiten einen kühlen Kopf bewahrt

Flyer_DGB_Mitbestimmung_140416Am vergangenen Donnerstag hatte ich das Glück und die Freude auf dem DGB-Fachtag „Mitbestimmung unter Druck“ neben Günter Wallraff einen Vortrag halten zu dürfen. Torsten Weber vom Bildungswerk Bayern hatte mich dazu nach München eingeladen. Mit über 200 BetriebsrätInnen war die Veranstaltung zum Thema Union-Busting erfreulich gut besucht.

Für mich war das ein besonderer Tag, weil ich dabei Günter Wallraff begegnet bin. Ich hätte mich sehr gerne mit der Reporter-Legende unterhalten und ihm gesagt, wie sehr mich sein Buch „Von einem der auszog und das Fürchten lernte“ als Schüler beeindruckt hat. Seine Arbeit war einer der Gründe, warum ich nach dem Abitur eine Ausbildung bei der Zeitung angefangen habe. Leider kam Günter ziemlich spät und musste am Ende der Veranstaltung gleich wieder zum Flughafen. In den Pausen war der berühmte Kollege mit Bücher-Signieren beschäftigt, so dass leider keine Zeit für ein Gespräch blieb. Sehr schade, aber es war trotzdem ein toller Nachmittag.

Sabine Eger begrüßte die TeilnehmerInnen als Geschäftsführerin des Bildungswerks. Den Einstieg ins Thema machte Matthias Jena, Vorsitzender des DGB in Bayern. Er berichtete über die Offensive Mitbestimmung des DGB. Günter Wallraff erzählte von seiner Arbeit für work watch; einer Initiative, die er 2012 zusammen mit Arbeit und Leben NRW ins Leben gerufen hat. Der Arbeitnehmer-Rechtsanwalt Friedrich Schindele machte die Grenzen juristischer Durchsetzung von Mitbestimmung deutlich und warb für die enge Verzahnung der Betriebsratsarbeit mit den Beschäftigten und der Gewerkschaft.

Ich habe von unseren Erfahrungen als Betriebsrat während und nach der WELTBILD-Insolvenz erzählt. Dabei mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass einige Beschäftigte in der Krise gegen BR und Gewerkschaft agitieren – und damit irrational gegen ihre eigenen Interessen handeln. Die Erklärung für dieses seltsame Phänomen habe ich in der psychologischen Forschung gefunden: viele dieser Verhaltensweisen lassen sich als Angst-Reaktionen sehr schlüssig erklären. Im dritten Teil meines Vortrags habe ich Vorschläge gemacht, was Interessenvertretungen tun können, um die Belegschaft auch unter extremen Druck zusammenzuhalten.

Als ich den Beitrag vorbereitet habe, war ich mir nicht sicher, ob es gelingen würde, die psychologischen Mechanismen allgemeinverständlich darzustellen. Ich habe ziemlich lange an den entsprechenden Passagen gefeilt und rigoros jedes Fach-Kauderwelsch eliminiert. Die Mühe hat sich offenbar gelohnt: Nach meinem Vortrag kamen etliche KollegInnen zu mir und waren sichtlich begeistert. Einer hat mir am Freitag sogar eine E-Mail geschrieben:

Servus Timm,
ich war gestern bei Deinem Vortrag in München. Ich war total
begeistert über das Thema, den verständlichen Aufbau und wie Du es
vermittelt hast. Ich würde mir gerne Deinen Vortrag zum Nachlesen
aufheben und wollte Dich fragen, ob Du ihn mir evtl. senden würdest.
Ich bin immer noch total fasziniert, Gruß …

Deshalb habe ich die wichtigsten Folien meines Vortrags in einem PDF-Dokument zusammengefasst und zum kostenlosen Download bereitgestellt. Wenn meine Arbeit euch in einer ähnlichen Situation weiterbringt, hat sich die Mühe gelohnt. Für Rückfragen und Anregungen könnt ihr gern das Kontakt-Formular nutzen. Oder ihr hinterlasst einen Kommentar unter diesem Beitrag. Das würde mich freuen.

Die Wiege der Gewerkschafts-Blogs steht in Augsburg

Ein Beitrag für die Augsburger Blog-Parade

Manchmal behaupte ich gern: „Ich war schon im Internet, da war es noch schwarz-weiß.“ Aber das ist natürlich Unsinn. Erstens waren die Pioniere des Usenet mit grün-schwarzen Monitoren unterwegs, und zweitens kämpfte ich Anfang der Neunziger noch mit der rudimentären Textverarbeitung auf einem Atari ST. Ich war Student, neu in Augsburg und wohnte in zwei Zimmern ohne Bad im „Problemviertel“ Oberhausen. Geld für einen Telefonanschluss hatte ich nicht, geschweige denn für einen Akustik-Koppler. Mein ganzer Stolz war ein gebraucht gekaufter 24-Nadel-Drucker, auf dem ich meine Semesterarbeiten in Entwurfsqualität ausdruckte, um Farbbänder zu sparen.

Mitte der Neunziger unternahm ich dann die ersten Streifzüge im World Wide Web. Wobei dem Begriff „Streifzüge“ ein in diesem Zusammenhang unzutreffender Hauch von flotter Geschmeidigkeit anhaftet: In Wahrheit waren es beschwerliche Wanderungen mit einem 56-k-Modem. Sie endeten allzu oft auf Webseiten, deren einziger Inhalt ein „Under Construction“-Schild war. Mein erster Zugang lief über einen Augsburger Computer-Club. Als Netz-Lotse diente mir eine Suchmaschine im experimentellen Stadium namens MetaGer. Die stand weit weg von Augsburg in einer Hannoveraner Hochschule, und Google gab es noch gar nicht.

Die ersten Blogs waren eine Enttäuschung

Mit MetaGer entdeckte ich die ersten Weblogs. Die Idee faszinierte mich sofort. Vor meinem Studium hatte ich eine Ausbildung zum Zeitungsredakteur abgeschlossen, den publizistischen Anschluss in Augsburg aber irgendwie verpasst. Mit der neuen Technik war es offenbar möglich, frei von Produktionskosten weltweit unabhängig zu veröffentlichen.

Anfang des neuen Jahrtausends schossen Blog-Provider wie Pilze aus dem Boden des World Wide Web. Das juckte den Viel- und Gerne-Schreiber in mir schon ganz gewaltig. Aber was für eine Enttäuschung: Die meisten Blogs, auf die ich stieß, waren Tagebücher im wörtlichen Sinne. Vor allem Teenager ließen sich weltweit über ihre unverständigen Eltern aus und bejammerten das Ende vermeintlich unsterblicher Lieben. Blog-Lesen war ein bisschen wie Urlaubs-Dias von Leuten gucken, die man nicht kannte. Die meisten Blogs dieser Zeit waren peinliche Nabelschauen oder schlicht langweilig.

Da müsste man doch mehr draus machen können, dachte ich. Aber eine Idee hatte ich nicht. Die hatten glücklicherweise andere, und nach und nach entstand die vielfältige Blogosphäre, die wir heute kennen. Mir aber fehlte weiterhin jede Vorstellung, was ausgerechnet ich der Welt da draußen Interessantes zu erzählen hätte…

Bloggen im Betrieb: ein Experiment bei Weltbild

Das änderte sich erst knapp zehn Jahre später, als wir bei einem Gewerkschaftstreffen über neue Kommunikationswege diskutierten. Durch gleitende Arbeitszeiten, versetzte Pausen und räumliche Aufspaltung werden die klassischen Kommunikationspunkte im Betrieb immer weniger. Den Betriebsräten fällt es oft schwer, mit Beschäftigten aus der IT oder dem Marketing ins Gespräch zu kommen, die in Einzelbüros am Bildschirm arbeiten. Vielleicht, dachten wir, ist ein Blog im Internet für diese KollegInnen ja näher dran als das Betriebsratsbüro im Nachbargebäude.

Mit dem Weltbild-ver.di-Blog wagten wir im Frühjahr 2009 einen ersten Versuch. Ich schulte eine kleine Gruppe Gewerkschafts-Aktiver und wir gründeten eine Blogredaktion, deren Mitglieder bis heute aus naheliegenden Gründen nur anonym agieren. Mit Visitenkärtchen, die wir in Kaffeeküchen und bei den Drucker-Inseln fallen ließen, machten wir Werbung für unser Experiment.

Innerhalb weniger Wochen war das Blog im Betrieb bekannt. Die Berichte darin sorgten für Gesprächsstoff, manchmal für Sprengstoff, oft auch für Ärger auf Seiten der Geschäftsführung. Aber einmal in der Welt, war es nicht mehr totzukriegen und ist seither die wichtigste Informationsquelle innerhalb des Betriebes und darüber hinaus.

Denn neben den Beschäftigten lesen auch JournalistInnen regelmäßig mit, was die GewerkschafterInnen aus ihrem Betrieb berichten. Authentischer und näher dran geht es nicht. Augsburger Allgemeine, Süddeutsche Zeitung, Bayerischer Rundfunk, Buchreport, Börsenblatt, Frankfurter Rundschau und viele andere Zeitungen und Zeitschriften berichten regelmäßig über Weltbild und stellen die Lage auch aus Arbeitnehmer-Sicht dar. Die meisten dieser Beiträge sind von unserem Blog inspiriert.

Eins, zwei, drei ganz viele ver.di-Blogs

Der große Erfolg des Weltbild-ver.di-Blogs machte in Gewerkschaftskreisen schnell die Runde. Immer öfter klopften Gewerkschafts-Sekretäre bei mir an und baten um Vorträge auf Konferenzen oder Schulungen von Betriebsgruppen. Schon im Folgejahr erblickten etliche weitere Betriebs-Blogs das Licht des Internets. Bei Dehner, Obi, Hugendubel, der Caritas, dem C.H.Beck-Verlag und in vielen weiteren Firmen schaffen gewerkschaftliche Blogs seither eine Gegenöffentlichkeit.

Zählt man die Seitenaufrufe der zwölf ältesten ver.di-Blogs zusammen, kommt man heute auf eine Zahl von über sechs Millionen. Es handelt sich längst um ein bundesweites Phänomen und die gewerkschaftliche Blogger-Szene wächst weiter. Das Weltbild-ver.di-Blog ist heute nur eins unter vielen, vielen anderen. Aber wir Augsburger BloggerInnen dürfen stolz darauf hinweisen, dass nach dem Arbeiter-Dichter Bert Brecht auch das Gewerkschafts-Blog am Lech geboren wurde. Das ist kein Unsinn.

1. Mai Demo in Augsburg

Das hat mal wieder richtig Spaß gemacht: super Wetter, viele Leute, tolle Redner und rundum gute Stimmung.

Am Wegesrand habe ich noch was Interessantes für die gewerkschaftliche Öffentlichkeitsarbeit entdeckt:

Die kleinen quadratischen Felder unten auf dem Plakat sind sogenannte QR-Codes. Wer eines der Felder mit einem Smartphone scannt, wird direkt auf die Wikipedia-Seite zum Kommunistischen Manifest weitergeleitet.

Solche Codes könnt ihr mit kostenlosen Programmen selbst herstellen und z. B. auf Flugblätter oder auch Visitenkarten drucken. Das wäre doch mal was, um die KollegInnen in der IT-Abteilung neugierig zu machen, oder?!

Ihr könnt diesen Code auch direkt vom Computer-Bildschirm scannen, probiert’s einfach mal aus, z. B. mit der iPhone-App Qrafter oder i-nigma: